Dienstag, Februar 12, 2008

Freddy, die Büdinger Schulkakerlake.


Kennen sie Freddy? Die Kakerlake? Den Kakerlak? Egal.
Ein bemitleidenswertes Geschöpf. Haust im muffigen, dunklen Keller im Büdinger Gymnasium und traut sich nur selten ans Tageslicht. Immer in Gefahr, von spitzen Pumps oder riesigen, grobgeriffelten Turnschuhen zermalmt zu werden.
Doch das Schlimmste ist dieser grausame seelische Schmerz, weil kein Mensch ihn leiden kann.
Dabei ist Freddy doch so sensibel und feinfühlig und liebt die Menschen. Vor allem die Kinder. Erst kürzlich hatte er wieder einen schlimmen Nervenzusammenbruch.


In einer Mathematikstunde im Büdinger Gymnasium hatte er vorsichtig vom hohen Schrank herab – seinem Lieblingsplatz – die Klasse beobachtet, als er sich der schrecklichen Grausamkeit der Szene unter ihm bewusst wurde.

Dort auf dem Tisch, direkt unter ihm, nahm er es gewahr. Das Buch der Bücher.
Diese verdammte Buch, dessen schwerer Stoff schon so viele seiner Vorfahren, ganze Stammbäume erschlagen hatte. Zerfleddert, verkritzelt und mit dem Blut und Angstschweiß vergangener Völker besudelt.

Normalerweise stöbert Freddy aber gerne in diesen „alten Schinken“
„Alter Schinken“ – versteht ihr? Das ist so die Pointe, die einem erst schwer im Magen liegt und langsam verdaut werden muss, bevor man sie versteht.
Auch leckere Käsereste und sonstige Kostbarkeiten verflossener Esskulturen finden sich hier häufiger. Deswegen liebt Freddy diese Bücher.
Diese Bücher sind auch wahre Fundgruben für Historiker, Botaniker und Archäologen. Hier finden sich z.B. Überbleibsel längst ausgestorbener Spinnenarten und Malereien oder Sprachfetzen zwischen Antike und Neuzeit.
Bücher als lebendige Zeitzeugen der Vergangenheit. „Lebendig“ nicht wahr. Freddy liebt diese Skurrilitäten. „Lebendig“ wenn der Käse in den Büchern anfängt zu laufen.

Doch Freddy liest auch gelegentlich in diese Bücher rein. Obwohl schon sein Ur-Ur-Ur-Großopa davon abgeraten hat.
„Didaktisch minderwertig, völlig unverständlich und kinderfeindlich. Da schreiben Fachidioten und lerntheoretische Stümper, die zwar die 17te Wurzel im Kopf ausrechnen können, aber keine Ahnung von Kinderpädagogik haben.“ hat er immer vor sich her gebrummelt. „Keine gescheite Gliederung, keine thematischen Zusammenfassungen und Übersichten, keine verständlichen Komplettlösungen, viel zu wenig Übungen mit Musterlösung. Völlig überaltert. Alles Schrott. Wie sollen das Eltern noch kapieren, wenn sie ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen. Und in den Klassenarbeiten kommt eh´ was ganz anderes dran. Jede private Kakerversität wäre mit dem Zeug längst pleite“

Na ja, so ganz unrecht hat er nicht, denkt Freddy manchmal.
Ok, ein paar neue Bücher sieht er jetzt manchmal, aber der Inhalt ist immer noch so schwer verdaulich. Also der Stoff, die Buchstaben meint Freddy jetzt. Nicht die Käsereste.

Er hat sich eh´ schon gewundert, warum viele der Lehrer die Bücher gar nicht nutzen.
Da schleppen die Kinder die schweren Dinger mit sich rum und kein Mensch schaut rein. Vielleicht verstehen die Lehrer die komische Sprache in den Büchern selbst nicht.

Und wenn die Kinder dann kein Steno können und nicht schnell genug im Unterricht mitschreiben, was der Lehrer aus dem Stegreif erzählt, was sie ja nicht dürfen, weil sie dann nicht mehr konzentriert sind und dem Lehrer nicht mehr zuhören, was sie aber müssen weil sie sonst keine Unterlagen zum Lernen vor den Arbeiten haben, weil ja die Bücher nicht genutzt werden oder unverständlich sind und auch sonst keine Unterrichtsmaterialien verteilt werden, weil ja kein Geld für jede Menge Kopien da ist und der Lehrer vielleicht auch keine Lust hat, statt der Bücher eigene Scripte zu erstellen, haben sie geloost.
Seltsame Spezies die Menschen.


Ansonsten hat sich ja nicht so viel verändert in den letzten Jahren. Damals nach Pisa I war mal richtig Trubel in der Schule.
Da hörte Freddy mal ne´ Lehrerin sagen: „Jetzt wird sich aber so richtig was ändern. Aber so wirklich richtig was ändern. Wir schreiben jetzt noch mehr Grammatikarbeiten“ Super, aber das war´s dann irgendwie auch.
Gut, es fällt kein – na ja fast kein – Unterricht mehr aus. Klasse. Da protzen die Politiker ja gerne mit rum.
„Kein Unterrichtsausfall in Hessen.“
Freddy guckt da ja auch gerne zu. Bei dem „kein Unterrichtsausfall“.
Das letzte Mal hat er da so einen Film über Spinnen und Netzwebtechniken gesehen. Da läuft es der abgebrühtesten Kakerlake eiskalt den Rücken runter. Und in der Nachbargemeinde haben die komische Verrenkungen gemacht.
Ohne die breite Schrankleiste wäre Freddy der Aushilfskraft fast vor die Füße gefallen.
Yoga nannten die das. Kakerlake macht den Kranich auf einem Bein. Echt lustig. Tierisch eben.
Erst gestern wieder: Neun Stunden waren veranschlagt. Nach der sechsten war die Schule aus. Von den restlichen zwei Vertretungsstunden: Einmal Film gucken über so Biokram und einmal „ fangt doch schon mit Hausaufgaben an“

Freddy versteht das System eigentlich nicht so richtig.
Stellt euch nur vor, das Hauptfach wäre Futtersuche bei Tageslicht unter extremen Bedingungen. Überlebenswichtiges Thema für sein Volk. Und dann wird der Lehrer krank und irgendeiner erzählt was von Riesenwaldohreulen auf Neuguinea oder effizientem Sockenstricken beim Tausendfüssler. Ganz nett, aber bringt das wirklich was?

Na gut. Freddy verschwindet jetzt für Heute wieder in seinen Keller. Ist eigentlich ja doch nicht so schlecht. Da hat er seine Ruhe, ab und zu macht er jetzt Yoga .
Kein Stress – bis auf die Yoga-Knoten in seine vielen Beinen - im Gegensatz zu den armen Kindern. Wenn die später mal auf ihre „glückliche Kindheit“ zurückblicken, können die nur was von Spinnen, Netzwebtechniken und „kein Unterrichtsausfall in Hessen“ erzählen.

Ach so, zum Schluss doch noch was.
Letzte Woche hatte Freddy einen seltsamen Traum. Der soll hier noch schnell erzählt werden.
Er träumte von Würfeln. Riesigen ein- und mehrgliedrigen Würfeln. Und in diesen Würfeln war alter Fisch. Der stank entsetzlich.
Und deswegen kamen in seinem Traum viele Leute, die rochen an den Würfeln, rümpften die Nasen und sagten: „ Da müssen wir was ändern.“ Und malten die Würfel rot und gelb und grün und schwarz an. Doch die Würfel stanken immer noch entsetzlich.
Was Freud wohl zu diesem Traum gesagt hätte?

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