Mittwoch, Januar 09, 2008

Modern Art in Büdingen

Herzlich Willkommen in Büdingen.
Der Stadt mittelalterlicher Feste, herrlicher Schloßanlagen und gepflegter, fürstlicher Gärten. Lustwandeln sie doch für kurze Zeit durch die Altstadt und erliegen sie dem Charme längst vergangener Epochen, verhaftet in der Bewahrung mittelalterlicher Schönheit.
OK: Weniger poetisch Veranlagte und Liebhaber der Moderne sprechen hier lieber vom Mief vergangener Zeiten.

Aber Büdingen gibt sich Mühe, auch zukunftsorientiert zu denken, sich dem Besucher und vor allen den Schlange stehenden Investoren visuell weltoffen und modern zu repräsentieren.
Um nicht nur die keltischen Bewohner benachbarter Gemeinden, sondern auch Touristen und Schnäppchenjäger aus aller Welt anzulocken.

Stellen sie sich den Büdinger Besucher vor, wie er am neugebauten Keltenkreisel Frühmorgens den Hauch der Moderne, die harmonische Verbindung zwischen Vergangenheit und weltoffener Zukunftsorientierung verspürt. Den Duft frisch ausgehobener Keltengräber fast wirklich erlebt. Die Kelten auferstehen und dem Besucher verdeutlichen: Jawohl, Büdingen lebt nicht nur in der Vergangenheit!
Naja, vielleicht lieber doch nicht.

Fahren wir weiter Richtung Innenstadt und erleben dort aber die Leibhaftigwerdung futuristischer Kunst, die uns sprachlos werden lässt.


In bester Innenstadtlage erhebt es sich über die Dächer Büdingens.
Dort wo andere Städte unverständlicherweise solch exquisite Plätze mit Einkaufspassagen, MC-Donald-Filialien oder Touristik-Centren verschandeln.

Eine gewagte Konstruktion aus edlem Stahl, erhaben glitzernd in den Farben des Sonnenaufgangs. Ein ultramodernes Kunstwerk mit dem morbiden Reiz des Verfalls.
Das Pendant zum Kasseler Loch - die Büdinger Litfasssäule.
Einige außen angebrachte Werbeplakate weltbekannter Künster vollenden diesen wahren Kunstgenuss, umrahmt von naturbelassener, wildwuchender Flora und Fauna.

Einzig vereinzelt dort unverständlicherweise parkende Mobile stören diesen sonst vollkommenen zeitgenössischen Kunstgenuss.
Liebevoll könnte man es das Luft-Schloss nennen.
Büdingen - die Stadt der Lust- und Luftschlösser.

Leider gibt es auch hier wieder einige Miesmacher, die respektlos nur vom Büdinger Parhaus sprechen.
Andererseits, mal nüchtern und aus der Nähe betrachtet: Ein seit Jahren leerstehendes, stählernes Ungetüm in bester und teuerster Citylage. Umgeben von längst nicht mehr grünen, aber um so mehr verdreckten Grünanlagen. Das aussieht wie die fluchtartig verlassene Baustelle eine Kletter-Anlage.


Ob diese städteplanerische Schöpfung ausreicht, Einkaufslustige aus aller Welt nach Büdingen zu locken, scheint fraglich. Vielleicht wäre ein Freizeitbad oder ein Einkaufszentrum ein größerer Anziehungspunkt gewesen. Aber mit Investoren hat sich Büdingen ja schon seit Möbel-Walther-Zeiten schwer getan.

Jede Menge Gewerbegebiete am Rand der Stadt. Mit wenig Gewerbe aber viel Parkplatz. Ein städtebauplanerischer Laie könnte nach dem Sinn fragen.
Warum soviele Gewerbegebiete, wenn es nicht mal für eines reicht? Und funktioniert das Konzept?: Büdingen hat zwar nichts zu bieten, aber tolle und kostenpflichtige Parkplätze in bester Lage. Warum fahren die Büdinger zum Shoppen nach Gelnhausen, Hanau oder sonstwohin, wo es doch in Büdingen so tolle Parkplätze gibt? Und warum ermäßigt man nicht die Gebühren für Dauerparker, wenn das Parkhaus ansonsten doch leer rumsteht? Warum haben die Büdinger Gewerbegebiete außer Baustoffhandlungen nichts zu bieten? Und warum hat das ansässige Kaufhaus die Abteilung Multimedia kampflos dem nicht-ortsansässigen Media-Markt überlassen?
Diese und noch mehr Fragen könnte sich der Laie stellen.

Aber vielleicht liegen ja die Planungen schon in der Schublade.
So könnte Verpackungskünstler Christo das Parkhaus originell verpacken. In Schwarz mit Trauerfloor.
Das RTL-Dschungelcamp soll ja auch schon Interesse angemeldet haben, in der Wildnis rund um Parkhaus zu drehen. Mit tollen Events wie keltischem Hinkelsteinweitwurf, Parkhaus-Freeclimbing, und Büdinger-Giftkröten-Schlucken.
Wobei mancher Büdinger ja schnell einen dicken Hals, aber große Probleme mit dem Krötenschlucken hat. Und für die ganz Abgehärteten die Ekel-Nummer: Müll-Einsammeln ohne Handschuhe.
Vielleicht wollen die Stadtoberen ja auch einfach die Natur walten lassen. Noch ein paar Jahre, dann ist dieses stählerne Ungetüm zugewachsen und wird die neue Touristenattraktion: Dann können die zahlreichen Touristen durch Parkhaus stolpern statt übers mittelalterliche Kopfsteinpflaster. Großstadtdschungel in Citylage.

Wenn man mit den Füßen fest im Sumpf der Vergangenheit steht, ist das fortschrittliche Schreiten natürlich schwer. Aber als Anfang zumindest ein paar Blümchen als Deko in der City und einen Rasenmäher müsste sich selbst eine mittelalterliche Stadt noch leisten können.
Andererseits: Wer "Das Parfüm" gesehen hat. So sauber und wunderschön wie in manch verklärter Ansicht waren die Städte damals gar nicht.
Quo vadis Büdingen?

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