Samstag, September 24, 2011

Piraten kapern Berlin

Es gibt eine neue Farbe im politischen Chaos. Piratenschwarz.
Wissen sie noch? Damals. Als die Grünen noch in den Startlöchern standen.Ihre Markenzeichen: Dreitagebart, Turnschuhe, löchrige Jeans und das Fahrrad vor dem Abgeordnetenhaus. Gar lustig schwenkten sie ihre Sonnenblumen vor dem Atomkraftwerk und versprachen schon damals blühende Landschaften. Nur wenige wollten so recht daran glauben, dass diese muntere Truppe irgendwann mal die Turnschuhe gegen schwarze Lackschuhe, das Fahrrad gegen den Mercedes mit Chauffeur und die Sonnenblume gegen eine dicke Brieftasche eintauschen würden und zur ernsthaften, etablierten Partei werden könnten.

Steht uns nun erneut eine derartige Transformation bevor?. Die Piraten kaperten mit 9% Berlin. Schwarzgekleidete No-Names mit Totenschädel auf dem Shirt und Notebook satt Sonnenblume schwenkend. Ein Außenminister in Turnschuhen war damals ja schon eine Sensation. Aber sollte irgendwann der Außenminister wirklich Augenklappe und Piratenflagge tragen?Kann man eine Partei, die sich Piraten-Partei nennt überhaupt ernst nehmen? Und was bringt den Wähler dazu, ihr 5mal so viele Stimmen wie der FDP zu geben?

Gut, eines muss man sagen. Das Parteiprogramm der Piraten ist verlockend. Freie Fahrt für freie Bürger in Bahnen und Bussen, die Befreiung des World-Wide-Web, weniger Datenschutz, no more Big-Brother und Kiffen ohne Ende. Das klingt nach einer verheißungsvollen Zukunft. Anders als bekifft kann man die täglichen, sich ständig wiederholenden Politkommentare und das Parteiengezänk ja nicht unbeschadet ertragen.

Aber mal ganz ehrlich und unter uns geschrieben. Wie verzweifelt und ratlos muss ein Wähler sein, wenn er diesem Wahlprogramm verfällt. Und Berliner Piraten-Kandidaten, die auf die Frage nach der Schuldenhöhe Berlins achselzuckend antworten:“Vielleicht ein paar Millionen?“ Schöne heile Internet-Welt. Dazu hat es unter Wowereit leider noch nicht gereicht. Es sind ein paar Milliarden mehr.

Und das schlimmste dabei: Man kann den Piratenwähler verstehen. Die Politik stellt sich öffentlich so dar, wie Karikaturisten es gerne sehen. Zerstritten, führungs- und richtungslos, ohne Plan. Von wegen, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Das gilt nicht für die Politik. Dabei ist die wirtschaftliche Lage Deutschlands keineswegs hoffnungslos. Im Gegenteil. Manch anderes Land wäre froh über Deutsche Verhältnisse.Und letzten Endes bestimmt seit Monaten nur ein unsägliches Thema das Tagesgeschehen: Die Griechische Tragödie. Aber wollen wir auch hier mal ehrlich sein. Alles unter 400 Milliarden sind doch Peanuts angesichts Europäischer Schuldenstände.. Die Bankenkrise wurde innerhalb kurzer Zeit abgewickelt, ein Konzept entwickelt und Bürgschaften eingerichtet.

Nur bei den Griechen dauert alles ewig. Europas Politiker streiten und schauen zu, wie aus einer Griechischen nunmehr eine Europäische Tragödie wird. Und ein stabiler Euro totgeredet wird. Wobei fairerweise gesagt werden muss, dass man sich an zu vielen Peanuts gehörig den Magen verderben kann. Und sollte dann noch mit Italien eine ganz, ganz dicke Nuss heran rollen, dürfte selbst der stabilste Magen aus den Fugen geraten. Und leider haben für die momentane Krise wieder mal nur die eine Lösung, die gerade nicht an der Regierung sind. Politiker, Experten und Wirtschaftsweisen sind zerstritten, ratlos und konzeptlos. Bieten ein Bild des Grauens, während die Griechen munter streiken. Das schlimmste an der Krise ist nicht die Krise, sondern die Art und Weise der Politik, ihr zu begegnen. So ist es nicht verwunderlich, wenn der zermürbte Wähler erfreut die Chance ergreift, einer Partei die Stimme zu geben, die einfache Lösungen bietet. Freie Fahrt, freies WEB und freies Kiffen. Ganz simpel.

Jedenfalls wird es dringend Zeit, das die Griechenkrise aus den Schlagzeilen kommt und die Politik wieder zum wichtigen Tagesgeschäft übergehen kann. Und wenn dann weniger Bunga-Bunga und wieder mehr vernünftige, parteienübergreifende, Europäische Politik gemacht würde, könnte das mit Europa auch wieder klappen.Freie Fahrt für Busse und Bahnen und freies Kiffen für Piraten klingt ja ganz nett, ist aber auch kein ernst zu nehmendes für die momentane Krise der Euro- und Weltwirtschaft. Mal schauen, ob da auf Dauer vielleicht noch etwas mehr rüberkommt von der neuen Kraft in Berlin. Und vielleicht ist es ja in einigen Jahren keine Schreckensmeldung mehr, wenn es heißt: Vor Somalia wurden Piraten gesichtet.

2 Kommentare:

CH O hat gesagt…

Ich glaube, dass die Analyse zum Erfolg der Piratenpartei nicht ganz zutreffend ist.

Auch die Piratenpartei hat keine klare Linie, habe nur die Ideen der Parteien geklaut, die sie als die Etablierten abtun und haben über die Ideen der anderen Piratenpartei geschrieben. Wenn man so will haben die Piraten die Parteiprogramme der Etablierten geentert.

Die 9,5% sind meiner Ansicht nach ein Vertrauensvorschuss. Ob sie dem gerecht werden können?

Dietmar hat gesagt…

Welche Ideen?
ich glaube, die Piratenpartei ist von diesem Erfolg völlig überrascht. Ein Parteiprogramm, welches alle notwendigen Bereiche abdeckt- liegt wohl noch gar nicht vor. Insofern stimme ich zu: Klare Linie-momentan wohl kaum. Doch das wird auch der Piratenwähler auf Dauer fordern.

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