Oder: Wenn einer eine Reise tut.
Diese Situation kennen sie doch bestimmt! Da steht ein lächelnder junger Mann im modischen Strickpulli vor seinem total verbeulten Ferrari, im Hintergrund noch die Blutlachen auf dem Kopfsteinpflaster und im Vordergrund steht ein top gestylter Vertretertyp im Armani-Frack und schmunzelt in die Kamera. Vor der breiten Brust ein dezentes Werbeschild im Format 2x2m mit dem Werbelogo einer Versicherung.
„ Kein Problem. Regeln wir für sie, verehrter Herr Müller. Hier die Schlüssel für ihren Leihferrari, Leider auf die Schnelle nur in Azurblau, ich hoffe, das ist für sie in Ordnung. Um alles andere kümmern wir uns. Wünsche ihnen noch eine gute Fahrt. Und machen sie sich keine Sorgen. Schadensregulierung ist unser täglich Brot“
Klasse, so viel Service wünscht man sich. Da ist man nach einem Unfall eh´ ziemlich durcheinander und frustriert. Und dementsprechend froh, wenn einem echte Profis zur Seite stehen.
So viel zur Theorie. In der Praxis steht da natürlich nicht zufällig so ein netter Typ von der Schadensregulierung an der Unfallstelle.
Und wenn das noch im Ausland geschieht, ihr Prepaid-Handy bald leer ist und die netten LKW-Fahrer hinter ihnen nur widerwillig und spät bremsen, lächelt man nur noch gequält.
Und um die Sache auf die Spitze zu treiben, lassen wir den natürlich rein fiktiven Unfall an einem Wochenende geschehen. Samstag Nachmittag. Rush-hour im europäischen Ausland und Büroschluss in Deutschland. Und aus nicht näher zu erläuternden Gründen nenne ich auch keine Namen.
Nehmen wir weiterhin mal an, sie haben durch irgendeinen glücklichen Zufall ihren Wagen in die Werkstatt verbracht, ein netter Bürger hat ihnen auf kroatisch-serbisch-türkisch-Zeichensprache noch ein Hotel vermittelt und der erste Schock ist überwunden. Jetzt suchen sie den telefonischen Kontakt zu jenem Eingangs erwähnten netten Typen mit dem „ Wir-regeln-das-für-Sie-Lächeln“
Der erfahrene Leser weiß, was nun geschieht. Callcenter! Bitte warten sie.
Ich liebe Call-Center. Habe ich das schon mal erwähnt? Jedenfalls:
Erst jetzt merken sie mal wirklich, wie teuer Auslandsgespräche doch sind. Von wegen 46Cent und so. Mindestens 2EUR rasseln die Minute durch ihre fast leere Prepaid-Karte. Bis dann endlich eine weibliche Stimme ertönt und irgendetwas von Zentraler Schadenserfassung oder so murmelt. O.K.
Jetzt erklären sie der jungen Dame in aller gebotener Eile das Geschehen, in der trüben Hoffnung, sie stehe kurze Zeit später lächelnd mit Autoschlüsseln oder einer Werkzeugkiste vor ihrer Hoteltür.
Theorie und Praxis! In der Praxis lächelt die Dame noch nicht einmal am Telefon. „ Sie sind wo versichert? Ach so? Ja, habe ich schon mal gehört. Wir sind ja hier nur so eine Zentrale Schadenserfassung und arbeiten nicht direkt für ihren Versicherer. Wie heißt ihr Versicherer nochmal. Und sie wollen jetzt was von mir?“
"Gut, mit dem sofortigen Ersatzferrari, das wird wohl nichts." Denken sie sich spätestens jetzt, während ihr Prepaidhandy in den letzten Zügen liegt und nervös anfängt zu piepsen.
Und irgendwie sagt es die junge Dame zwar nicht, aber sie hören es irgendwie doch : „Was will der eigentlich von mir? Auslandsschaden, keine Ahnung. Und außerdem: Wochenende! Hätte der nicht bis Montag mit seinem Unfall warten können? Ich hätte doch bei KIK an der Kasse bleiben sollen“
Jedenfalls erfahren sie schmerzhaft, dass dieser Service rund 2.-EUR die Minute kostet, die junge Dame ihnen nur schon mal entgegenkommenderweise eine Schadensnummer mitteilen kann und eine Telefon-Nummer, unter der man dann am Montag nochmal anrufen darf. Mehr geht leider nicht. Es ist ja schließlich Wochenende.
Eben Theorie und Praxis. Mein Tipp fürs Ausland:
Bitte keine Unfälle zwischen Freitag 12.00Uhr und Montag 08.00Uhr. Während dieser Zeit steht ihnen der nette Schadensregulierer mit dem „Wir-regel-das-schon-Lächeln“ nicht zur Verfügung.
Und wenn sie nicht unbedingt als Tellerwäscher in irgendeinem Urlaubsparadies enden wollen, nehmen sie genügend Kreditkarten mit. „Bargeld lacht“ ist die Devise in ausländischen Werkstätten und der nette Schadensregulierer aus der Werbung bezahlt ihnen leider auch nicht die Notreparatur ihres Autos.
Zur Ehrenrettung will ich auch mal sagen, dass es den netten Schadenregulierer wirklich gibt. Aber eben erst Montag Morgen ab 8.00Uhr.
Samstag, Oktober 30, 2010
Werbung,Realität und Callcenter
Eingestellt von
Dietmar
um
2:09 PM
Labels: Einsichten und Ansichten, Werbung
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