Montag, Juli 28, 2008

Kartenwahn.Plädoyer fürs Bargeld

Kennen sie das:
Samstags früh an der Kasse. "Macht 4.95.- bitte"
"Moment, wo war sie nur? Kleinen Moment, ah ja,hier. Postbanksupermasterplatinumcard mit VIP-Ausweis und Unfallversicherung. Wenn ich hier über den verschütteten Joghurt ausrutsche, zahlt die Unfallversicherung, sofern ich meinen Einkauf mit der Postbanksupermasterplatinumcard ...bezahle.Tolle Sache"
"Sorry, könnten sie da vorne mal voran machen. Mein Zug wartet"
"Ja,Ja. Wird schon. Ach so. Oder nehmen sie lieber die DeutscheBanksuperiorprimuscardtitan?" Geben sie hier eigentlich Häbbi-Punkte. Wo war sie nur, die Häbbi-Card? Beim Bäcker hatte ich sie doch noch"
"Wenn du jetzt nicht machst, kannst du deine blöde Karte da suchen, wo es stockfinster ist. Mach voran!"


Also, nicht dass ich mich dem Fortschritt verwehre und wie mancher Büdinger vom mittelalterlichen Leben träume. So mit Kerzenlicht, Nachtwächter und einem Pfarrer, der seiner Gemeinde sagt, wo´s langgeht und nicht umgekehrt. Nein, nicht alles war wirklich gut in der guten alten Zeit.
Heute kann man wenigstens ohne Angst vor der Inquisition behaupten, die Erde sei eben doch keine Scheibe und so mancher Zölibatsgestresste käme mit seiner Triebunterdrückung nicht zurecht. Was der deutsche Papst ja inzwischen selbst zu gibt, ohne was am System zu ändern.

Aber die Schüler hatten Respekt vor dem Lehrer und nicht umgekehrt.
Und wer Bargeld hatte, konnte sich auch was zu essen kaufen. Das funktioniert auf dem Büdinger Gymnasium nicht mehr. Baguettes, sofern nicht wie meistens ausverkauft, nur gegen Bezahlung mit der WEG-Super-Mensa-Card.
Wer da vergessen hat aufzuladen oder wegen Krankheit bei der Vergabe keine bekommen hat, muss halt knurrenden Magens in den Unterricht oder eine der zahlreich vorhandenen Vertretungsstunden gehen.
Leider landen in der WEG-Kartenlade-Station nicht nur Euros. Sondern auch andere Kleinigkeiten wie Knöpfe, alte Lire oder keltische Kupfermünzen. Das ist dann die völlig unpolitische Büdinger Ampel:
grün: alles klar, alles paletti. Alle Geräte frei zum laden.
gelb: Schlange stehen vor dem noch intakten Ladegerät.
rot : Sch...benkleister, doch schnell zum BurgerKing hetzen, die nehmen noch Cash.
So manche Oma verzweifelt inzwischen, wenn sie ihrem Enkel mal 2 Euro auf die WSM-Card laden will.

Wenigstens ist man jetzt die benachbarten Realschüler los. Denn die kriegen ja keine WSM-Card. Da gibt es ja noch so eine unsichtbare innerdeutsche Grenze. Weiss keiner warum,erklärt keiner, gibt es aber. "Bitte in den Pausen nicht über die Grenze gehen"
Andererseits: Überall preisen die Unternehmensberater und Topmanager die Fusion, die Effizienz großer Einheiten, das enorme Einsparungspotential bei Zusammenlegungen. Warum eigentlich nicht bei den benachbarten Büdinger Schulen?

Positiv ist ja der mögliche Essenzuschuss beim Büdinger Gymnasium. Wer sich traut und den mitleidigen Blicken standhält, bekommt für seine Kinder das Essen wesentlich günstiger. Finde ich gut. Besser wäre natürlich eine generelle Befreiung. Nicht nur für Büdingen. Kostet Geld, klar. Aber es geht doch um unsere Kinder und deren Gesundheit. Und für die Toten (Kelten) z.B. werden doch auch etliche Millionen für ein paar von den Würmern gesäuberten Knochen und ein paar Grabbeigaben spendiert. Für die Lebenden (Kinder) fehlt dann das Geld. Generell wundert man sich ja oft, wofür Geld in Deutschland vorhanden ist.
Ob in Büdingen in 500 Jahren auch mal einer Ausgrabungen macht? Dann kommen die Gebeine unseres Stadtoberhaupts hinter Glas zusammen mit dessen wertvollen Grabbeigaben. Geschirr und Besteck aus edlem Plastik und auf jedem eingedruckt die Insignien des Königs: Burger King.
Auf das Niemand diese wunderschöne vergangene Zeit vergesse.

Aber überhaupt. Wie soll unsere Wirtschaft ohne Bargeld auskommen? Welcher Schwarzarbeiter akzeptiert Mastercard? Und ohne die würde doch so manches Haus völlig verfallen.
Und wie sollten der Herr Zumwinckel und Co. sein Schwarzgeld nach Lichtenstein bringen, wenn nicht bar im Köfferchen?
Blumen für die Geliebte müssen dann irgendwann heimlich vom Feld geklaut werden, weil die sonst auf der Visa-Abrechnung erscheinen.
Mit der Kartenzahlung gehen wir doch wieder einen Schritt nächer an George Orwells Visionen. Alles lässt sich kontrollieren, speichern, erfassen. Obwohl so mancher Jugendliche eben jene Kontrolle mit der Karte völlig verliert.

Und die Bezahlkarten sind ja nur ein kleiner Teil des anstehenden Informationssammelsystems. Nicht nur die Wirtschaft sammelt Daten, um "dem mündigen Bürger nach anonymisierter Sichtung seiner Einkaufsgewohnheiten für ihn relevante Informationen zukommen zu lassen" Am schlimmsten sammelt der Staat. So viele zentrale Register gab es noch die. Und auch da helfen die Karten: Gesundheitskarte, Elena etc. Nichts bleibt verborgen.


Nein, ich möchte das Ende des Bargeldes noch nicht erleben. Der ausgebrochenen Kartenwahn ist mir unheimlich. Und Omas Bargeld unterm Kopfkissen ist wenigstens vor den Hackern sicher.

Aber ich merke schon, dieser Artikel läuft aus dem Ruder.
Deswegen vielleicht irgendwann Teil 2

Was uns (und die Händler)die Bezahlkarten wirklich kosten.
Die neue Büdinger Spenden-Kelten-Card. Ein Taler pro Einkauf für den Keltenfürst.
Automatisierungswahn: Karten machen unsere Enkel arbeitslos.
Die neue Volks-Krankheit: Punkte-Sammel-Zwang (Häbbi-Manie)
Warum Frankfurter Taxifahrer American-Express nicht leiden können.
Und vieles mehr rund um den Kartenwahn.



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